„Nachbarn fürs Leben“ (2016)

Das zeitlose Thema des nachbarschaftlichen Zusammenlebens.

Im Mikrokosmos der Probsteigasse Köln – in der sich der erste Sprengstoffanschlag des NSU ereignete – spiegelt sich wie in einem Brennglas, das Bild der urbanen Gesellschaft.

 

 

Synopsis

Synopsis

 

Ein Film von Erwin Michelberger, 95 Minuten, DCP, stereo, D 2016. In Koproduktion mit ZDF/3sat. Filmwerkstatt Düsseldorf. Gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW und der Nordmedia Niedersachsen.

 „Nachbarn hat jeder. Man kann sie sich nicht aussuchen. Wenn du aus dem Haus gehst und triffst auf Ria oder Wolle, dann fängt der Tag schon gut an. Oder ich treffe auf die Betonfresse.“

Da ist die Inhaberin eines kleinen Hotels, die übers Jahr Gäste aus 80 verschiedenen Nationen betreut. Da arbeitet der Architekt mit seinen zwölf Angestellten an neuen Wohnprojekten. Wir lernen eine alte Feministin kennen, die das erste Frauenhaus Kölns gegründet hat. Eine Flüchtlingsfamilie aus Bosnien schlägt sich durch. Das Wohnzimmertheater Köln und seine Macher bieten knallige Comedy. Nebenan wohnt ein Dachdeckermeister, der als Kind die Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg miterlebt hat. Kinder streunen durch die Hinterhöfe, und eine Künstlerin formt aus Ton kleine Menschenkörper. Ein bekannter Satiriker ist hier aufgewachsen – er führt ein Phantom-Interview mit einer Nazigröße. Die Musikschule bringt einen Nachbarschaftssong heraus. Und dann leben hier Feuerwehrleute, Grafiker, Hausfrauen, Rentner und Praktikanten. Sie alle öffnen uns die Tür und manchmal auch ihr Herz. Und für Momente lassen sie uns sogar hinter die Maske sehen.

Vor fünfzehn Jahren gab es in der Probsteigasse einen Sprengstoffanschlag auf einen kleinen Lebensmittelladen, der von einer iranischen Familie geführt wurde. Eine Tochter erlitt schwere Verletzungen. Der Anschlag wird dem NSU zugerechnet. Die Familie ist längst weggezogen doch die Erinnerung wirkt bis heute verstörend.

 

„Wenn ich reich wäre würde ich mich schon fragen wie lange wir das noch durchhalten können, bis es wieder so weit ist, wie es schon mal war, in der französischen Revolution. Warum soll sich so was nicht wiederholen?!“

„Reichtum ist ein Kontrapunkt für Nachbarschaft. Den Nachbarn braucht man in der Not. Man hilft sich auch wenn man verfeindet ist, um zu überleben.“

„Wenn man nichts vom anderen weiß produziert das Angst und Hass auf das Andere.“

„Wir hier sind irgendwie – das Rheinische ist was Offenes. Du kannst den Fremden mit reinnehmen.“

„Andererseits würde ich zusammenbrechen wenn ich wirklich alles wüsste von jemandem.“

„Dass wir total anders sind als die Zschäpe stimmt nicht. Jeder von uns hat eine helfende, ausgestreckte Hand und eine die zuschlägt.“

„Denken wir mal die Probsteigasse wäre eine Kommune, Keine Schlüssel. Keine Schlösser. Ich gehe nachts um vier zum Markus rüber um bei dem im Kühlschrank nachzugucken ob noch Bier da ist. Will ich das? Wollen wir das?“

„Hier ist die Bombe explodiert im Lebensmittelladen und hat die junge Mashia lebensgefährlich verletzt. Wenn wir jetzt den Leuten erzählen, wie sie es erlebt hat, ja, bringt das was? Oder ist das nur ne Beruhigungspille für die Zuschauer.

„Was würden Schimpansen machen, wenn so viele fremde Schimpansen, wenn so viele Flüchtlinge kämen? Sofort totschlagen. Jeden. Aber wir Menschen schaffen das. Seit zehntausend Jahren haben wir Kultur und überwinden das Totschlagen. Obwohl wir die Gene von denen noch in uns haben.“

„Der Erwachsene von gegenüber guckt mich an und denkt: Was will der Junge? Ich hab was Besseres zu tun als mich mit dem zu unterhalten. Jeder Erwachsene hat zwei Gesichter. Er will das zweite gar nie zeigen. Immer nur das erste. Das ist so wie wenn man in den Spiegel guckt.“

 

Könnte Nachbarschaft nicht noch etwas ganz anderes sein? 

Die Menschen, die uns umgeben, sind gar nicht das, was sie zu sein scheinen. Jeder von uns birgt ein Geheimnis, das nie zu ergründen ist und sich in jedem Moment verändern kann.

Credits

Credits

 

Mit Maria Mies, Sandra Thormann, Nina Bujdo, Alfred Ranff, Conrad Speth von Schülzburg, Özgür Cebe, Margot Scheins, Monika Kohlberger, Lutz van der Horst, Saral Sarkar, Peter Kohlberger, Markus Thormann  und vielen anderen Nachbarn.

Kamera: Justyna Feicht, Schnitt: Sunjha Kim, Ton: Julia Hübner, Musik: Ulrich Deppe, Mischung: Tilo Busch, Compositing: Moritz Grund, Produktionsleitung: Philipp Enders.

Redaktion: Udo Bremer

Eine Michelberger Film Produktion in Koproduktion mit ZDF/3sat, gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW und der Nordmedia Niedersachsen. Filmwerkstatt Düsseldorf. Filmplakat: sitzgruppe, Düsseldorf.

 

 

Pressestimmen

Pressestimmen

 

KÖLNER STADT-ANZEIGER, 23.11.2016
von Uli Kreikebaum

Fremde Nachbarn. Mit seinem Film über die Probsteigasse gelingt Erwin Michelberger ein Meisterwerk.

Nachbarn fürs Leben“ ist ein Film über die Probsteigasse. Es ist ein Film über Menschen, die seit Jahren oder Jahrzehnten Tür an Tür leben, über ihre Sicht aufs Leben, darüber, wie wenig sie sich kennen und wie sie die Erschütterung über den Sprengstoffanschlag auf den Lebensmittelladen der Familie Malayeri eint. Am 19. Januar 2001 ging in dem Geschäft ein Sprengsatz hoch, der in einem Einkaufskorb versteckt war. Dass die Tochter der Ladenbesitzer, die 19-jährige Mashia M., die den Korb öffnete, am Leben blieb, grenzt an ein Wunder. Der Anschlag, der den verstorbenen NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zur Last gelegt wird, steht nicht im Vordergrund des Films – er bildet lediglich das emotionale Motiv, um die Geschichten der Menschen zu erzählen, auch jene von Gewalterfahrungen. Ein Rentner erzählt vom Zweiten Weltkrieg in Köln, eine junge Kroatin vom Krieg in Jugoslawien, den sie als Kind erlebte. Der Satiriker Lutz van der Horst, der in der Probsteigasse aufgewachsen ist, führt ein fiktives Interview mit Propagandaminister Joseph Goebbels. Es geht auch um Homosexualität, Sterbehilfe, Flüchtlinge, Mut und Angst. Der Film versucht Absurdität und Alltag zu packen. Es gelingt.


Sehenswert und eindrücklich machen den Film seine Protagonisten, die unglaublich offen sprechen. Da sind die homosexuellen Georg Schnitzler und Marek Pawleta vom Kölner Wohnzimmertheater, die ihrer urkölschen Vermieterin Margot Scheins längst so nah sind wie Söhne, da sind der gelassene Architekt Wilhelm Schulte und seine Mitarbeiter, die Inhaberin eines kleinen Hotels, die übers Jahr Gäste aus 80 Nationen beherbergt, da ist die alte Feministin, die das erste Frauenhaus Kölns gegründet hat, daneben der Dachdeckermeister, der als Kind die "Nacht der Tausend Bomber" in Köln miterlebte, da sind Schauspieler, Feuerwehrleute, Grafiker, Hausfrauen, Studenten. Alle öffnen ihre Tür, viele gewähren den Zuschauern mehr als nur oberflächliche Einblicke in ihre Welt. Das ist selten.
Zu Beginn des Films fährt die Kamera durch die Probsteigasse, erst schwarz-weiß, dann werden die Bilder bunt. Die Bewohner stehen in Spiegeln an der Straße. Die Art wie die Menschen in Szene gesetzt werden, ist künstlerisch eindrucksvoll, in manchen Sequenzen gewagt: der Autor lässt sie vor ihrem Spiegelbild verharren, das funktioniert… Am Ende weiß der Zuschauer viel mehr über die Menschen, über die Verbundenheit mit ihrer Straße und ihr Verständnis von Angst und Offenheit. „Nach dem Sprengstoffanschlag 2001 wurde mir schlagartig klar, wie wenig wir letzten Endes voneinander wissen“, sagt Erwin Michelberger, der dieses kleine Dokumentarfilmkunstwerk geschaffen hat. „Die Menschen, die uns umgeben, sind gar nicht das, was sie zu sein scheinen. Jeder von uns birgt ein Geheimnis, das nie zu ergründen ist und sich in jedem Moment verändern kann“, heißt es in einem Skript zum Film. Dass Michelberger den Menschen so nah kommen kann, liegt auch daran, dass er seit 28 Jahren in der Probsteigasse lebt und arbeitet. Und daran dass er seine Straße und ihre Menschen liebt. Wichtig sei auch, sagt er, „dass man sich selbst öffnet. Nur wenn man von sich erzählt, erfährt man die Geschichten von anderen Menschen“.

Den äußeren Impuls für den Film, sagt Michelberger, „gab der NSU-Prozess, zu dem auch die Geschädigten hingegangen sind“. Die Familie Malayeri sei seit dem Anschlag heillos zerrissen und lebt sehr zurückgezogen. Die bei dem Anschlag schwer verletzte Mashia – ein weiteres Wunder – ist Ärztin geworden. Erzählen will sie davon öffentlich nicht – aus Angst, wie Michelberger sagt.


Erwin Michelberger widmet sich in seinen Filmen oft Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Er hat einen Film über Holocaust-Überlebende in einem jüdischen Altersheim gedreht und ein Porträt über einen Kleinkriminellen, er hat Straftäter in der Forensik begleitet, Transvestiten und Menschen mit Tourette-Syndrom, er hat Totenwaschungen bei Juden und Muslimen gefilmt. Seine Arbeiten wurden mehrfach ausgezeichnet, im Jahr 2002 erhielt er den Arte-Dokumentarfilmpreis für den besten deutschen Dokumentarfilm.

 

 

KÖLNISCHE RUNDSCHAU, 18.11.2016
von Thorsten Moeck

Hinter der Fassade. Was wissen wir voneinander? „Nachbarn fürs Leben“ ist ein Film über das alltägliche Miteinander

„Vieles ist Fassade in der großen Stadt. Häuser, aber auch Menschen. Langsam fährt die Kamera durch die Probsteigasse in der nördlichen Altstadt, wie reglose Pappfiguren stehen die Bewohner anfangs auf dem Gehweg, erst schwarz?weiß, doch schnell wird es sehr bunt. Die Figuren bewegen sich, sie sprechen – und sie geben Einblicke in ihr Denken.

„Nachbarn fürs Leben“ heißt der Film von Erwin Michelberger, der nun in ausgewählten Kölner Kinos zu sehen ist. Die Probsteigasse hat der Autor nicht zufällig als Schauplatz gewählt, hier wurde am 19. Januar ein Sprengstoffanschlag auf einen iranischen Lebensmittelladen verübt – der Täter ist bis heute nicht gefasst. „Wo leben wir denn?“, „Was ist denn eigentlich hier los?“ und: “Was wissen wir denn voneinander?“ Dieser Fragen?Dreiklang bildet den Ausgangspunkt einer Entdeckungsreise hinter die Fassade jedes Einzelnen. Im Grunde ist der Film eine einzige Antwort auf diese ganzen Fragen, jeder ist teil des Ganzen, jeder entscheidet, wen er in seine Welt lässt.

Der rote Faden, das immer wiederkehrende Element in diesem Film (95 Minuten) ist der Spiegel. Alle Menschen, die zu Wort kommen blicken dort hinein, anonym übrigens. Namen werden nicht eingeblendet. Ein Feuerwehrmann, ein Dachdecker, die Inhaberin eines Hotels. Der Zuschauer begegnet all diesen Protagonisten wie beim Gang durch eine Kneipe. Themen kommen und gehen so plötzlich wie am Tresen. Mal wird über Homosexualität debattiert, mal über Flüchtlinge oder Sterbehilfe. Das mag absurd wirken, doch der Film wird durch die Eigenart all der interviewten Bewohner äußerst lebendig. Das funktioniert auch deshalb, weil der Anschlag im Mikrokosmos dieser Straße nicht als überfrachtetes Thema eingesetzt wird. Letztlich ist der Film nicht mal ein Appell an eine stärkere Gemeinschaft. Alles über alle zu wissen, nein, das halte er nicht für erstrebenswert, eher für belastend, bemerkt ein Bewohner.

Vielmehr wirkt der Film als Spiegel für jeden Zuschauer.

 

 

WDR 5 Scala, 18.11.2016
von Lutz Gräfe

 

„Es geht um die Kölner Probsteigasse, das ist ne kleine Gasse in der nördlichen Altstadt, dort wurde 2001 ein Sprengstoffattentat auf einen iranischen Lebensmittelladen verübt, wobei die Tochter schwer verletzt wurde. Der Täter ist bis heute nicht gefasst.

Erwin Michelberger hat sich aufgemacht. Was ist eigentlich Nachbarschaft. Wie geht man miteinander um? Es geht weniger um das Attentat als um die Frage: Wie ist das mit der Nachbarschaft?

Da gibt es immer wieder Einstellungen mit Spiegeln. Die Nachbarn schauen sich an. Die Frage steht im Raum: wäre ich selber in der Lage, so etwas Bösartiges zu tun? Ist das in uns allen oder nur in abseitigen Asozialen?

Sehr gut gemacht.

Leider zur Zeit nur in einem Kino zu sehen. Da hilft nur mal Druck zu machen im Programmkino.“ 


 

WOLFGANG WALDMANN, 30. November 2016

Nachbarn fürs Leben. Ein Film von Erwin Michelberger


„Nachbarn! – Gott bewahre. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt, so Friedrich Schiller.

Ein Film über Nachbarn? 

Anschließend im Publikum die Verwunderung: Das war ja richtig philosophisch. Wie viel kluge Lebenserfahrung Menschen einbringen, denen man das gar nicht ansehen würde.

Ja, ein Film über Nachbarn. 

Menschen einer Straße in der Kölner Altstadt. Hoch fährt die Kamera und zeigt den Stadtteil, Blick auf den Dom weit im Hintergrund. Ist das Nachbarschaft? Und die Menschen? Die Kamera fährt rückwärts durch eine schmale Straße – aber nicht die Menschen selber, die hier wohnen, kommen ins Bild, nicht sie beleben die Gasse: nur ihre Projektionen, wie auf großen Spiegeln – und da stehen sie einer hinter dem anderen wie isoliert, viele sind es, als warteten sie auf etwas.

Erwin Michelberger nimmt diese Spiegel als Symbol. Fast strapaziert er den stummen Blick in den Spiegel. „Das bin ich?“ Und dann verführt er die Menschen und ihre Nachbarn zum Sprechen. Nein, wahrlich kein Stammtischgerede, sondern scheinbar ungefiltert offene Äußerungen und durchgehend mit erstaunlich tiefem Verständnis: für den anderen, für das Befremdende, für die Fremden. Positiv denkende Menschen. Unter ihnen der Autor, auch er ihr Nachbar. Auch er suchend: Zuhören, verstehen wollen, Verständnis für einander aufbringen. 

Die Nachbarn lassen sich darauf ein und kommen miteinander ins Gespräch. So ist der Film geschnitten. Die junge Mutter und die Emigrantin. Der Deutsche mit türkischer Abstammung als wortgewandter Kabarettist. Ein hilfsbereiter junger Mann, der nach der lebbaren Wohn?Utopie sucht. Der jungenhafte irakische Rapper, der mit seinem deutschen Freund Fragen ans Leben teilt und dabei seine Trauer um die im Irak zurückgelassenen Freunde spüren lässt. Und noch viele andere. Junge und ältere Menschen. Sie teilen sich Erfahrungen mit und kommen sich dabei näher. So, wenn der Alte über seine Kindheit im zerbombten Köln spricht und die junge Frau vom Krieg in Bosnien, dem sie entflohen ist. Solche Erlebnisse scheinen sie zu verbinden. Die Angst der Eltern vor der Abschiebung und die kaum unterdrückten Tränen, eine Angst, die nur vor den fragenden Augen der kleinen Tochter zu weichen scheint. Und zwischendurch der Urkölner beim Kölsch und der Gemeindepfarrer, die der Humor angesichts des Bösen in der Welt nicht verlässt. Ja, längst hat der Zuschauer es gemerkt: Die Gasse ist die Probsteigasse. Ort des fremdenfeindlichen Anschlags im Januar 2001. 

Und immer wieder der Autor selber im nachdenklichen Gespräch mit seinen wirklichen Nachbarn: oft zweifelnd, auf keinen Fall sich aufdrängend. Seine Rolle: er schafft Situationen, in denen Nachbarn miteinander ins Gespräch kommen. Katalysator und Betroffener.

Denn es dreht sich um etwas anderes: Wie toleriert man das Fremde? Wie geht man mit dem Leid des Nachbarn um? Lässt man es an sich heran? Wie zeigt man sein Mitgefühl? Der Selbstmord nebenan. Hätte man ihn verhindern können? Und nun wird der Film vorsichtig dokumentarisch politisch: Erinnerungen der Nachbarn an den noch unaufgeklärten Sprengstoffanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft und auf die Familie, die hier in Köln, hier in diesem Altstadtviertel, hier in dieser Straße, hier in diesem Haus inmitten dieser Nachbarn lebte. Jetzt ist der Film bei seinem eigentlichen Thema angelangt: Die unterschwellige Bedrohung. Die Gefahr des missbrauchten Vertrauens. 

Und das holt auch den türkisch stämmigen Kabarettisten ein, auf der Kleinbühne. Mitten im perfekten Deutsch über Integration und ‚Assimilation’ verstummt er, eine Kindheitserinnerung überfällt ihn: ‚Türkenschwein’. Und man versteht ihn. In solchen Situationen ist der Film ganz nah. Sind sich auch die Nachbarn ganz nah. 

Das gelebte ‚Dennoch!’. Die Hoffnung des Autors. So endet der Film mit lebensvollen Bildern: Das bescheidene Nachbarschaftsfest in einem Hinterhofgarten. Auf einem Balkon hoch über der engen Altstadt probt der Kabarettist mit Musikern und sein Lied klingt wie eine Botschaft nach. 

Ja, ein Film über Nachbarn. Ein unaufgeregter Film über Menschen, die sich über die Dreharbeiten als Nachbarn näher kommen.

Genau genommen erzählt Erwin Michelberger von sich selbst; vom Wunsch wohl auch, einer von ihnen zu sein. Ein Nachbar zu sein. Der Film habe etwas angestoßen bei den Menschen seiner Straße, so deutet er hinterher an. Seine Hoffnung.

 

Interviews

Interviews

 

RHEINISCHE POST, 02.12.2016

Das Interview führte Johannes Löchner

In der Nachbarschaft setze ich ein Lächeln auf“

Der neue Film des Regisseurs Erwin Michelberger heißt „Nachbarn fürs Leben“, gedreht hat er ihn in der Kölner Probsteigasse, wo es 2001 einen Bombenanschlag gab – eine mutmaßliche Tat des NSU. Michelberger lebt dort, seit er aus Düsseldorf weggezogen ist. 

 

Was hat Sie dazu bewegt, aus dem doch sehr alltäglichen Thema Nachbarschaft einen Film zu machen?

Michelberger: Also, es gab den äußeren Anlass, weil bei uns an der Probsteigasse zehn Meter gegenüber eine Bombe hochging. Und plötzlich tauchten die Fragen auf: Was weiß man eigentlich von den Nachbarn? Wie nah ist man sich? Und dann ging dieser Prozess einfach weiter, dass ich dachte: "Mensch, die Nachbarschaft, die hat jeder." Und daran misst sich eine menschliche Gesellschaft: Wie lebt man miteinander?

 

Ihre Nachbarn lassen Sie in Ihrem Film oft zu Wort kommen, auch über mögliche Missstände in der Gesellschaft. Was kann man als Einzelner dagegen tun?

Michelberger: Wie man im Kleinen mit den anderen lebt, so ist es im Großen auch; das heißt, untereinander gibt es einen Dialog. Wenn man sich unterhält, wie man miteinander auskommt - es stellen sich sofort die gleichen Fragen wie in der Politik: Wie macht man was besser? Indem man sich als erstes öffnet. Wenn man nichts voneinander weiß, hat man Angst. Der erste Ansatz ist, sich ein Herz zu fassen und zu sagen: "Jetzt gehe ich mal auf jemanden zu und spreche ihn an." So, wie Politiker im Parlament aufeinander zugehen und sprechen, gehen wir in der Nachbarschaft miteinander um. Da gibt es kaum einen Unterschied. Das sind auch nur Menschen wie wir.

 

Um auf jemanden zuzugehen, ist ein gewisses Maß an Vertrauen nötig. Was, wenn dieses Vertrauen auf einmal erschüttert wird?

Michelberger: Damit muss man leben. Die Menschen sind eben sehr verschieden. Ich selber mache ja manchmal auch etwas, das anderen nicht gefällt, und mir ist es vielleicht gar nicht so bewusst. Das muss man einfach akzeptieren.

 

Wie stehen Sie denn zu Ihren Nachbarn?

Michelberger: Ich liebe meine Gasse hier, in der ich seit 28 Jahren lebe und arbeite. Vorher habe ich 20 Jahre in Düsseldorf gelebt und bin mit Düsseldorf immer noch eng verbunden. Mir geht immer das Herz auf, wenn ich in die Gasse komme, weil ich viele Leute mag.

 

Was macht man denn mit den Leuten, mit denen man nicht so gut auskommt?

Michelberger: Ich mache es so, dass ich trotzdem ein Lächeln aufsetze, grüße und immer die Gelegenheit biete, dass etwas Neues passieren kann. Ich hatte mal einen Nachbarn, dem ich immer begegnet bin, aber wir haben uns immer nur ganz kurz angeguckt und sind weitergegangen. Irgendwann habe ich ein Lächeln aufgesetzt. Da bleibt der stehen und sagt: "Hör ma'! Du läufst doch auch immer hier rum. Was machst du eigentlich?"